Eine Hommage an die Vespa


Einer unserer Rechercheure hat einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1996 ausgegraben - eine echte Hymne an die Vespa, die ich Euch (samt den passenden Links - für die Jüngeren unter Euch ) nicht vorenthalten möchte.

Ich habe sie miterlebt, die erwähnten 50er und 60er-Jahre, die Zeit der Hippie-Bewegung, von "Hair" und von Woodstock, als ein Mädchen, das halbwegs auf sich hielt, keinesfalls einen BH tragen konnte (in Kalifornien haben sie diese Kleidungsstücke sogar öffentlich verbrannt), die Zeit, als die Pille bereits erfunden war und Aids noch nicht und die jungen Frauen die Befreiung vom Gespenst der ungewollten Schwangerschaft zum Teil extensiv auslebten. - My generation!

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Erfunden wurde sie an einem Sonntagnachmittag zwischen dem reichlichen toskanischen Mittagsmahl und dem Nachmittagskaffee mit einem frühen Gläschen Wein: die "Vespa". Der berühmte Hubschrauberkonstrukteur Corradino d'Ascanio hatte den Auftrag, ein Nutzfahrzeug mit zwei Rädern zu entwickeln, 1946, in den Wirren der Nachkriegszeit, unter denen auch das Sonnenland Italien zu leiden hatte. Angestellt bei der ehemaligen Flugzeugfabrik Piaggio, saß der Ingenieur eher unwillig am Zeichentisch, denn nichts interessierte ihn lebenslang mehr als die motorbetriebenen Libellen - und er lebte lang, von 1891 bis 1981. Er war ein richtiger Autonarr, rasant und polizeibekannt. Ganz und gar unsympathisch waren ihm Motorräder: Sie waren ihm zu laut, zu unbequem, sahen brutal aus. Oft hatte er sie beobachtet: technisch und aerodynamisch völlig unzureichend!

Ein motorisiertes Zweirad müsse es geben, auf dem bequem zu sitzen sei, im Abendanzug wie in Arbeitskluft, das Kleid vor Schmutz geschützt wie die Wade der Sozia vor Verbrennungen höherer Grade durch offenliegende Teile wie Motor und Abgasleitungen. Die Damen sollten zum Einkaufen oder an den Strand fahren können, die Arbeiterinnen in die Fabrik, die Bäuerinnen aufs Feld und zum Weingarten. Schon deshalb die einfache und einseitige Aufhängung der Räder, das Trittbrett als Schutz vor Dreck, Schlagloch und Erdboden, als zweiter Boden unter den Fahrerfüßen, als Abstellplatz für Kartoffel- oder Seesack. Schon deshalb die Verlegung des Motors nach hinten und seine Verkleidung durch die weltberühmten, weiblich-organisch geformten Hauben links und rechts des Hinterrads. Die Vespa war geboren und ging wenige Monate später vom Band. Seither ist sie nicht zu bremsen.

Piaggio nämlich durfte keine Flugzeuge mehr herstellen, das hatten die Alliierten verboten; denn der damalige Besitzer des großen Werkes in Pontedera bei Pisa, Enrico Piaggio, hatte in den letzten Jahren ausschließlich fliegendes Kriegsgerät produziert, vor allem, ab 1937, den berüchtigten viermotorigen Bomber P-108-B, mit dem die faschistische Luftwaffe der italienischen Armee ausgerüstet war. Aus alten Flugzeugblechen und Lenkgestängen war 1945 schon einmal ein Motorrollerprototyp in 100 Exemplaren gebaut worden - ohne Erfolg.

Signor d'Ascanio aus Pisa zeigte sich über seinen Erfolg eher verwundert. Und der Siegeszug des Rollers lenkte ihn nur ab von seiner Helikopterleidenschaft. Im Italien der fünfziger Jahre fuhr bald keiner mehr auf seinem Fahrrad - das "Vespazieren" wurde zur Mode, der sich niemand entziehen konnte. Filme wurden gedreht, die ohne das stachelige Beförderungsmittel der Stars nicht liefen: ob Gary Cooper oder Marlon Brando, ob John Wayne oder Henry Fonda, ob Charlie Chaplin, Audrey Hepburn im Faltenrock oder Ursula Andress auf einer "Vespa 90", nur in einen Leopardenmantel gehüllt - das nationale Fahrinsekt beherrschte den Verkehr und wurde für das Land so wichtig wie Pasta und der schiefe Turm von Pisa. Bald summte es auch weiter im Norden. 1949 flogen die ersten Roller flügellos in deutsche Lande, aus der Düsseldorfer Gegend kamen sie und machten sich rasch auf kriegszerstörten Holperwegen breit. Die Nachfrage war so groß, daß die lizenzierte "Hoffmann-Vespa" kaum die Straßenlage halten konnte; immer mehr wurde produziert, bis sich "der Vespa-Hoffmann" verkalkulierte, die Lizenz verlor, Pleite machte. Nun vergab der vormalige Kriegsflugzeughersteller Piaggio die Bauerlaubnis an den vormaligen Kriegsflugzeughersteller Messerschmitt, und ab da brummte der Roller aus Augsburg.

Daß Österreich "vespiziert" wurde, ist das Verdienst des Mailänder Kaufmanns Giuseppe Spetic, der nach dem Krieg italienische Betonmisch- und sonstige Maschinen in den Norden verkaufte. Fragt man den heute 86jährigen Wahlwiener, wann die ersten Rollerreifen alpenländischen Boden berührten, erhält man als Antwort: "Im Jahre Schnee!" So frisch also ist das Geburtstagskind mit den erotisierenden Brüsten, Bögen, Backen und Pos, die immer ihre famose Form bewahren und denen kein Alter je etwas wird anhaben können. Dieser Roller wird ewig ein Exempel bleiben für Motor- und Designgeschichte, für die Historie der Mentalitäten und Kulturen. Und gerade Österreich trägt ein wirtschaftsgeschichtliches Unikum zu solcherlei Annalen bei, denn über das liebliche und beliebte Gefährt wurden Schutzzölle und Importbeschränkungen verhängt, den Puch-Produkten zuliebe; nationale Konkurrenzangst diktierte eine Kontingentierung und steigerte so nur die Begehrlichkeit österreichischer Piaggio-Piloten. Giuseppe Spetic leitete trotzdem nicht nur Alpenüberflug und Nordmigration der zweitaktigen Wespe ein, er gründete auch den ersten österreichischen "Vespa-Club" in Wien - obwohl er nie auf einem Roller saß. Er fuhr einen "Chevi", "jedoch geliebt habe ich die Vespa - sie war mein schönstes Kind, und die Wiener waren verrückt danach in den Fünfzigern!" Aber auch prosaisch war sein Vespa-Verhältnis, kaufmännisch und unromantisch, reiner Handel. Von Öl- und Reifenwechsel, Reparatur und Werkstatt wollte er nichts wissen. So kam es 1964 zum Wechsel in der Generalvertretung: Der Mechaniker und Motorradrennfahrer Josef Faber förderte das "Fesspah"-Fahren: morgens in die Firma, abends aus dem Büro, am Wochenende die Wiener Hauptallee hinunter zum Lusthaus. 1995 eröffnete Faber das "Ottakringer Zweiradmuseum", in dem Wespen-Biologie und Vespa-Historiographie zur Schau gestellt werden.

In jenen fünfziger Jahren, mittlerweile werden sie als legendär verklärt, herrschte Vespa-Euphorie in diesem Land. Herrschte frenetische Italienbegeisterung allenthalben: raus aus den Trümmern, weg von der Arbeit, hinein in den ersten Urlaub. "Nach Italien!" hallte es wie ein Schlachtruf vom Alpenrand bis zur Waterkant, und der Schnulzenbarde Peter Kraus begleitete das heimische Fernweh oder tröstete die daheimgebliebenen Vespisten mit "Va bene, va bene, ich bin ja so verliebt, und zwar in dich, Sinjo-ri-hi-na". Die Eltern keuchten, beladen mit Zelt und Kocher, mit Angelhaken und Italienisch-Liliput-Wörterbuch über den Brenner an den Lago oder nach "Ri-ri-ri-ri-rimini"; zurück fuhren sie wieder mit Zelt und Kocher, beigepackt die unvergeßliche Caprifischer-Sehnsucht, die bastumwickelte Chianti-Flasche und das erlebte Abenteuer. Ins Land der Sonne, so ganz solo - das wagte damals kaum einer. Deshalb fuhr man mit dem heimischen Vespa-Klub auf Tour, im Pulk, der familiäre Wärme schuf. Das war ein Stück formierte Gesellschaft der Fünfziger auf Reisen. Halbstarker, Schlurf wurden zu Hause die Randständigen und die aufmüpfigen Jugendlichen genannt, die ihre Roller blitzen ließen mit Chrom und Spiegel, Lampen, Fuchsschwanz, Windschutzscheibe und glanzpolierten Hupenhörnern; die Mütter sahen ihre Töchter ungern auf dem Sozius sitzen und "poussieren", wie das damals hieß. Rock 'n' Roll, Elvis, Brisk im Haar, die Mädchen im Petticoat - das war der Schrecken aller Lehrherren und der Eltern hinter dem Fenster der Kinderzimmer, aus denen die Kücken, flügge geworden, herausgewachsen waren und mit dem Zeitgeist auf der Vespa in die ersten sozialen, musikalischen, politischen Umwälzungen der sechziger Jahre scooterten, jugend- oder hippiebewegt, begeistert von Beatles, Beach Boys, Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich, agitiert von der "Satisfaction" der Rolling Stones oder vom Symbolsong dieses Umbruchs, "My generation", der Krach- und Splittergruppe "The Who". Und diese Rockgruppe war es auch, die die gesellschaftlichen Probleme unter Jugendlichen, die Klassenkonflikte unter Zweiradmobilisten künstlerisch verarbeitet auf Bühne und Plattenteller brachte. "Quadrophenia" hieß die Oper, die den Klassenunterschied zwischen "Rocker" auf dem Motorrad und "Mod" auf dem Vespa-Roller dokumentierte.

Die siebziger Jahre waren rollerlos. Die Euphorie war abgeflacht, die Produktionszahlen im Vespa-Werk auf dem Tiefstand, der 2 CV, der Renault 4 und immer noch der VW-Käfer rollten mit und für die Leute unter 30. Alles schien vergessen, das Italien-Paradies, das Roller-Feeling, die Vespa-Philosophie, Rollerrennen, Vespa-Akrobatik, Zweiradgeschicklichkeitsturniere. Die alten Vespa-Vereine? Eingeschlafen. Die kleinen, liebevollen Zeitschriften? Eingestampft. Die Wimpel bei den Lumpen, das Gerät beim Schrott, bestenfalls im Hühnerstall.

Heute summen und brummen sie wieder, vornehmlich in Österreich und in Deutschland. Auf dem Stiefel war das Fahrinsekt nie ausgestorben, auch nicht in den über 150 Lieferländern. Fast zehn Millionen verbreiten derzeit den Stil, das unvergleichliche Design dieser schönen maschinellen Italienerin. Heute summen und brummen sie wieder, die Vespisten aller Länder, haben neue Vespa-Klubs gegründet, alte aufgefrischt; Zeitschriften erobern wieder den Gazettenmarkt, ob sie "Vespisti" oder "Scooter" heißen - der Vespa-Kult, er knattert und blubbert mit dem Rollerton, poliert das Image, die runde Form des Kotflügels, die Flankenpartie. Sie fahren wieder, die Youngsters, die Teenies, die Schüler, die Studenten, chick, schön, eitel, modisch angetan; verliebt sehen sie aus oder verschmust, leicht, elegant, keine Raser und Kilometerfresser - dazu ist der Scooter zu sehr Snob, das Fahrgerät ein zu bürgerliches, wohlanständiges, das enges Kurvenfahren erlaubt, nicht aber engsten Neigungswinkel. Die Stereoanlage im Blechgepäckfach vor dem Knie, Italorock von Dalla, von Nannini verströmend: Man fährt wieder akrobatisch, zu fünft auf der Vespone, freihändig, rückwärts, die Treppen rauf und liegend, wenn es sein muß und wenn's Freude macht. Das neudeutsche Schlagersternchen Nena hat die Vespa in den Teenie-Streifen "Ich will Spaß" genommen, der Kultfilm-Flop "Absolute Beginners" kommt ohne silbergrauen Roller nicht aus, und in Nanni Morettis wunderbarem Streifen "Caro Diario" (Liebes Tagebuch) fährt der Regisseur selbst als Hauptdarsteller mit der zweirädrigen Hauptdarstellerin durch das sonntägliche Rom.

Längst ist die Vespa Legende. Sie ist mehr als ein bloßes Fortbewegungsmittel, mehr als ein Roller. Ihr Name steht sogar im Duden für diesen Typ des Kraftrades, ist ein Synonym für all das, was weltweit heute als "Scooter" verkauft und gefahren wird. Sie ist Ausstellungsstück im Museum, sie ziert Krawatte wie Büstenhalter, Slip wie Boxershort, sie dient als Lampe, Bleistiftspitzer, Blumenvase; zu Weihnachten kann man sie aus Schokolade mit Schokonikolaus, zu Ostern mit Milka-Häschen kaufen. Plattencover, Buchumschläge, Badestola, T-Shirt, Ohrring - kaum ein Gegenstand, der nicht mit ihr in ihrer alten Form, dem klassischen Design der fünfziger Jahre, dekoriert wird. Ein Mythos. Etwas also, das es nicht mehr wirklich gibt.

Auch Literatur und Kunst haben sich dieser Idealgestalt schon früh angenommen, sich einer Aura bedient, die einem normalen Ding des täglichen Gebrauchs gewöhnlich fern ist - ob Oskar Kokoschka, der die Vespa in Tusche karikierte, ob Mario Madiai, der sie als erotischen Akt malte, ob Karina Schwunk oder Christa Goertz oder Genoveva Gürtler, alles Künstler, hingerissen von der ästhetischen Ausstrahlung jenes Zweirades, das auch die Literaten Härtling und Isherwood, Barbara Noack und Christine Brückner, Arno Schmidt und Jo Hanns Rösler als Pegasus in ihren Werken besteigen. Dieser Poesie der Vespathie tut keinen Abbruch, daß die fahrbare Sitzskulptur immer auch ein Politikum war, einsatzbereit bei Streitmacht und Polizeistaffel, im Koreakrieg, im kalten Krieg, als die Sowjets ihre Raubkopie, "Wjatka", bauten und Piaggio für die Luftwaffe eine fallschirmspringertaugliche "Vespa paracadutista" fabrizierte.

Eine Vespa zu fahren ist Weltanschauung. Der Fuß hat schnell Kontakt mit Land und Straße; ein freundliches Fortkommen herrscht, ein Rasen ist unmöglich, die Betrachtung dominiert, man sieht sich um, sieht nah, sieht fern, riecht, friert, schwitzt, stöhnt lustvoll und erfährt, erfährt im echten Wortsinn seine Strecken. Eine Vespa zu fahren ist die moderne und nostalgische Fortsetzung des menschlichen Gangs auf Rädern - und obendrein sperrt einen keine Autotür hier ein, nichts sperrt die Sozia und den Fahrer aus, kein Glas ist zwischen Lenker und Landschaft - und nirgendwo ein Stahlblech-Fensterrahmen, der des Vespisten Panorama eingrenzt. Grenzenlos, endlos und forever young!

Quelle: "Die Presse" vom 27.7.1996